Tatort Schulweg - Wie können wir unsere Kinder schützen?

Von ANJA TISCHENDORF und VOLKER TACKMANN

Angst steht nicht auf dem Stundenplan. Und doch gehört sie zum Schulalltag: Sie beginnt für viele Eltern schon in dem Moment, wenn ihr Kind das Haus verlässt.

Und diese Angst wird schlimmer, sobald wieder ein so furchtbares Verbrechen geschieht wie letzte Woche in Zerbst (Sachsen-Anhalt). Die kleine Malin (6) war auf dem Heimweg vom Kinderhort verschleppt, missbraucht und erwürgt worden. Der Täter: Steve P. (19), geistig behindert - und ortsbekannt, weil er immer wieder kleine Mädchen belästigt hatte. Er wurde in eine Nervenklinik eingewiesen.

Von dem Mann, der fünf Tage vorher in Dortmund (NRW) eine Achtjährige wenige Meter vor ihrer Haustür in ein Auto gezerrt und vergewaltigt hat, fehlt dagegen noch jede Spur.

Zwei Verbrechen am helllichten Tag. Zwei Verbrechen, nach denen sich Eltern fragen: Was könne wir tun, um unsere Kinder auf dem Schulweg zu schützen? BamS sprach mit Experten.

Das kann die Schule tun

Wichtigste Regel: Verbrechen an Kindern nicht verschweigen. Schulleiterin Gisela Borgmann (54), Augustinus-Grundschule in Dortmund: "Nach der Vergewaltigung des Mädchens haben wir sofort mit den Kindern darüber geredet. Dann bläuen wir ihnen immer wieder ein: Lasst euch nicht von Fremden ansprechen! Wenn ihr ein komisches Gefühl habt, rennt weg!"

Vertrauen ist gut, Kontrolle kann Leben retten: "Wir schauen jeden Morgen nach, ob alle Schüler da sind", so die Direktorin, "fehlt ein Kind unentschuldigt - die Eltern sollten sofort Bescheid sagen, wenn ihr Kind krank ist -, rufen wir umgehend zu Hause an."

"Ein gutes System, das es an allen Schulen geben sollte", fordert Eduard Herder (56) von der Katholischen Elternschaft Deutschlands. Aus eigener Erfahrung weiß er: "Die Eltern haben Verständnis für diese Maßnahmen, denn es geht um die Sicherheit ihrer Kinder."

Das können Eltern tun

In einer Gruppe sind selbst kleinere Kinder geschützt. Heidemarie Mundlos (46), Deutscher Elternverein: "Eltern müssen darauf achten, dass ihr Kind nicht allein zur Schule geht. Allerdings: Es jeden Tag selbst zu bringen ist falsch - so wird das Kind nie selbstständig. Das Beste ist, wenn Nachbarskinder gemeinsam laufen. Außerdem halte ich auch Handys oder Pager für sinnvoll." Ihre Tochter hatte selbst so einen Nachrichtenmelder, teilte damit Dinge mit wie "Unterricht ausgefallen. Hol mich bitte ab".

Das können Behörden tun

"In vielen Städten gibt es Schulweg-Kommissionen, die beispielsweise überprüfen, ob der Weg gut ausgeleuchtet ist", sagt Heidemarie Mundlos, "diese Kommissionen sollten flächendeckend in ganz Deutschland gewährleisten, dass genug Lampen und an Brennpunkten sogar Videokameras installiert sind." Eine Vermittlungsstelle zwischen Eltern und Ämtern stellt der Deutsche Kinderschutzbund dar: "Wir haben Extrakurse für Eltern mit dem Thema Schulweg. Bei unsicheren Straßen mit schlechter Beleuchtung oder schwer einsehbaren Unterführungen informieren wir auch Stadt, Jugendamt oder Polizei", erklärt Karola Steinruck (60) vom Kinderschutzbund in Ludwigshafen.

Das können Kinder tun

Kinder können sich wehren. Viele Schulen bieten Sicherheitskurse an, speziell geschulte Polizisten informieren in den Klassen. Schon die Einstellung ist wichtig. Dr. Christian Lüdke (42), Kinder- und Jugendpsychologe: "Kinder sollten Schlagwörter wie "Nein!" oder "Lass mich in Ruhe!" antrainiert haben und durchaus aggressiv reagieren - auch gegenüber Nachbarn oder Bekannten. Wenn es nicht ausdrücklich Absprachen gibt - denn 80 Prozent der Sittlichkeitsdelikte geschehen im nahen Bekanntenkreis."

Das "Sicher-Stark-Team" in Euskirchen (NRW) bietet bundesweit Selbstbehauptungs- und Verteidigungskurse speziell für Kinder an (ab 5 Euro/Stunde). Ralf Schmitz (35) und seine Profis geben folgende Tipps:

  • Selbstbewusst auftreten! Kinder, die mit straffen Schultern und erhobenem Kopf auf die Straße gehen, wirken stärker. Auf diese Weise werden Täter eingeschüchtert.
  • Weg von der Autotür! Hält ein Wagen an, sollten Jungen und Mädchen nie direkt neben die Tür treten. Lieber zurück an die Häuserwand.
  • "Feuer!" statt "Hilfe"! Wer belästigt wird, sollte nicht um Hilfe rufen. Viele Passanten gehen einfach vorbei. Dafür lieber "Feuer!" schreien.
  • Schnell fliehen! Wer merkt, dass er verfolgt wird, sollte wegrennen. Am besten nach Hause, in ein Geschäft oder Restaurant.
  • Schlüssel ins Gesicht! Wenn das Kind attackiert wird, sollte es dem Angreifer einen Schlüsselbund ins Gesicht schleudern.
  • Zuschlagen! Gibt der Angreifer trotzdem nicht auf, sollte ihm das Kind mit den Fingern in die Augen stechen, mit der Handkante gegen den Kehlkopf schlagen oder in die Genitalien treten.