Wir machen Kinder stark

Kinder werden immer öfter Opfer von Gewaltverbrechen. Ein Polizist und eine Pädagogin trainieren schon mit den Kleinsten Selbstbewusstsein und Abwehrtechniken.

Wir machen Kinder stark

Ein Auto stoppt am Straßenrand. Ein Mann am Steuer öffnet die Beifahrertür und spricht die neunjährige Michelle an. "Dein Papa hatte einen Unfall, ich soll dich direkt zu ihm ins Krankenhaus bringen", versucht er, die Schülerin ins Auto zu locken. "Nein, ich gehe nach Hause", antwortet Michelle. "Aber dein Papa ist doch nicht da", drängt der Autofahrer. "Na und?", bleibt das Mädchen entschlossen. "Ich hab ja den Schlüssel." Schließlich packt der Mann das Kind am Arm und will es ins Auto zerren. Doch Michelle wehrt sich, beißt den überraschten Angreifer in den Arm und läuft weg. Die Szene ist gespielt, zum Glück bestand keine reale Gefahr. Michelle und mit ihr 60 Mitschülerinnen der Klassen 3 und b der Essener Suitbert Grundschule nehmen an einem Sicher-Stark-Kurs teil. Zwei Trainer bereiten die Kleinen darauf vor, Konflikt- und Gefahrensituationen zu erkennen, einzuschätzen und zu bewältigen. "Die Kinder gewinnen Vertrauen in ihre eigenen Fähigkeiten und damit Selbstbewusstsein", erläutert Diplom-Pädagogin Julia Schlegel (32) das Konzept des Kurses. Ihr zur Seite steht Ralf Schmitz (37). Der frühere Polizeibeamte, ein erfahrener Selbstverteidigungsexperte und Personenschützer, bringt den Mädchen später in der Turnhalle Selbstverteidigungstechniken bei. Diese Art des Sportunterricht - bei allem gebotenem Ernst - sichtlich Spaß. Spielerische Elemente sind wichtig. Die Mädchen lernen, ihre Stimme als Waffe einzusetzen. "Schreit so laut ihr könnt", fordert Julia Schlegel die Drittklässler auf. Der Lärm, mit dem die Kinder durch die Halle toben, ist ohrenbetäubend. Der Kurs begann im Klassenzimmer. Ein Lehrfilm der Polizei wurde gezeigt. Woran ist der böse Onkel zu erkennen? Der Nachbar, in dessen Garten der Ball beim spielen flog, reicht einer Gruppe von Jungen und Mädchen den Fußball über den Zaun. Der Mann ist freundlich, aber eigenartig. Er bietet allen ein Eis an, aber ein Junge aus der Gruppe soll mit ins Haus kommen, es holen. "Hab ich ein JA-Gefühl?" So lautet die zentrale Frage für die Kinder. Sie müssen lernen, was gesundes Misstrauen ist. "Ich nehme keine Geschenke an, wenn ich kein klares JA-Gefühl habe" - das lernen die Kinder der katholischen Schule an diesem Tag. "Der Schutz unserer Kinder vor allen Formen der Gewalt ist heute aktueller den je", erläutert Rektor Norbert Gierig (54). Das Sicher-Stark Team bietet eines der wirkungsvollsten Präventionskonzepte für Kinder an. Ein vierstündiger Schnupperkurs kostet     Euro pro Kind - für manche Eltern und die meisten Schulen, Kindergärten und Sportvereine viel Geld. "Wir hatten uns vor einem Jahr beworben, kamen auf eine Warteliste. Die Kosten von      Euro spendete eine Essener Firma", freut sich der Rektor Gierig über die Vermittlung des Sponsors durch das Präventionsteam (www.sicher-stark.de). Getrennt nach Geschlechtern, konfrontierten die Trainer die Kinder an zwei Tagen mit Gewalt in allen Abstufungen. Zu den Inhalten des Kurses zählten der Umgang mit Angstgefühlen, das Schreitraining, die Erkennung potentieller Gefahr und die Abwehr verbaler und körperlicher Angriffe. In Rollenspielen wurden Verhaltensweisen erwachsener Sexualtäter durchgespielt und anschließend gemeinsam besprochen. "Hattet ihr ein NEIN-Gefühl?", fragt Julia Schlegel. "Ja", schreien die Kinder. Sie sind mutiger geworden, sie wehren sich. - Thomas Borowski